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PolitikEuropa

EU-Wahlen: Was hat das EU-Parlament seit 2019 erreicht?

Rosie Birchard
5. Mai 2024

Die Europawahl Anfang Juni rückt näher. Die DW schlüsselt auf, wo das Europäische Parlament in den letzten Jahren seine Spuren hinterlassen hat - und wo nicht.

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Eine Frau lässt eine EU-Fahne in der Luft wehen.
Anfang Juni wählen EU-Bürgerinnen und Bürger neue ein neues EU-ParlamentBild: Pond5 Images/IMAGO

Erst der endgültige Ausstieg von Großbritannien aus der EU, dann die COVID-19-Pandemie, dann der Krieg Russlands in der Ukraine - seit den letzten Wahlen im Jahr 2019 waren die EU-Parlamentarier vor große politische Herausforderungen gestellt. Und so vergisst man leicht, welche Themen sonst noch auf der Agenda standen.

Green Deal: Wie steht es um das Klimaversprechen?

2019 stellte die Europäische Kommission - die Exekutive der EU - einen Plan vor, um die Treibhausgasemissionen in der EU bis 2030 um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken - und um bis 2050 emissionsneutral zu werden. Damit reagierte sie auf den Druck junger Klimaschützer, die in vielen Ländern regelmäßig auf die Straße gingen, und auf die sogenannte "grüne Welle". Bei den Wahlen vor fünf Jahren erhielten so viele grüne Abgeordneter wie nie zuvor Sitze im Europäischen Parlament.

Seitdem war das EU-Parlament an der Aushandlung zahlreicher Gesetze beteiligt, mit denen die Versprechen des Green Deals eingelöst werden sollen. Darunter sind zum Beispiel Pläne für ein Verbot von Autos mit Verbrennungsmotor im nächsten Jahrzehnt und eine Steuer auf bestimmte importierte Waren mit einem hohen CO2-Fußbadruck, um Verschmutzer zur Kasse zu bitten.

Hafen von Moerdijk in den Niederlanden
Die EU hat sich ehrgeizige Ziele zum Klimaschutz gesetzt - doch Maßnahmen wurden im Gesetzgebungsprozess abgeschwächtBild: picture alliance

"Das Europäische Parlament hat sich als erfahrener Gesetzgeber in Sachen Umweltpolitik erwiesen", sagt Peggy Corlin, Leiterin des Brüsseler Büros der Denkfabrik Robert-Schuman-Stiftung.

In diesen Tagen deuten die Umfragen jedoch darauf hin, dass sich das Blatt für die Grünen zum Negativen wenden könnte. Wegen Protesten in der gesamten EU hat Brüssel in diesem Jahr einige Vorschriften für die ökologische Landwirtschaft gelockert, um Landwirte zu entlasten.

Und im Februar hatten es Vorschriften, mit deren Hilfe zerstörte Natur wieder in einen guten, ökologischen Zustand gebrachten werden soll, nur knapp durch die Schlussabstimmung geschafft. Die größte Mitte-Rechts-Fraktion hatte ihre Unterstützung zurückgezogen, weil sie Bedenken wegen der Lebensmittelsicherheit hatte. Im Laufe der Verhandlungen wurde der Text deutlich abgeschwächt.

Klimaschützern kritisierten beides als Verwässerung der früheren Klimaversprechen.

EU erließ die weltweit erste Regeln für KI und Big Tech 

Seit 2019 hat die EU auch eine Reihe von Gesetzen erlassen, die die Macht von großen Technologie-Unternehmen zügeln sollen. Vergangenes Jahr trat ein neues Regelwerk in Kraft, das Online-Plattformen dazu verpflichtet, aktiv gegen schädliche Inhalte vorzugehen.

Die EU hat ihre neuen digitalen Befugnisse schon mehrfach genutzt und soziale Netzwerke überprüft. So wurden auf Druck der EU bei der App TikTok Lite Teile eines umstrittenen Belohnungssystems ausgesetzt.

Das Logo der KI OpenAI auf einem Handybildschirm
Das EU-Parlament erließ umfassende Regeln für den Einsatz von Künstliche Intelligenz Bild: Michael Dwyer/AP/picture alliance

Andrea Renda, Forschungsdirektor bei der Denkfabrik Centre for European Policy Studies in Brüssel, sagte zur DW, dass die EU-Abgeordneten auch "maßgeblich" an der Verschärfung der ersten Gesetze zur Regulierung von Künstlicher Intelligenz beteiligt waren. Allerdings, so warnt Renda, stehe die EU nun vor einem "enormen Durchsetzungsproblem", da jede Rechtsvorschrift mit unterschiedlichen Verfahren ausgestattet sei.

Migration in die EU: trotz Bewegung weiter umstritten

Lange Zeit eines der umstrittensten Themen: die Migrations- und Asylpolitik der EU. Anfang April gab das EU-Parlament nach jahrzehntelangen Debatten seine endgültige Zustimmung zur Asylreform. Viele nationale Regierungen bezeichneten das als Erfolgsgeschichte.

Nach den neuen Regeln müssen die EU-Länder einen angemessenen Anteil der Migranten aufnehmen, die an den Küsten der EU ankommen - oder anderen aufnehmenden Staaten eine Entschädigung zahlen. Um die Abschiebung zu beschleunigen, werden die Asylbewerber auch danach beurteilt, wie wahrscheinlich es ist, dass ihr Asylantrag genehmigt wird. Menschenrechtsorganisationen kritisieren die neuen Regeln.

"Aus gesetzgeberischer Sicht und in Anbetracht des ganzen Vorlaufs kann das Ergebnis als Erfolg betrachtet werden", sagt Helena Hahn, Migrationsanalystin der Brüsseler Denkfabrik European Policy Center. Aber, so Hahn, das Ergebnis habe auch viele Regierungen enttäuscht.

Seenotrettung im Mittelmeer vor der italienischen Küste
Im April bestätigte das EU-Parlament die Reform zum Thema Asyl und MigrationBild: Laurin Schmid/picture alliance

"Der Grund, warum die Abgeordneten letztlich ja gesagt haben, ist die Überlegung: Es ist immer noch besser, den Pakt zu haben als ihn nicht zu haben. Wären die Reformen nicht verabschiedet worden, hätte das wahrscheinlich zu einem Rückschlag bei den Wahlen geführt" erklärt sie. "Die Parteien der Mitte und des linken Spektrums hätten diese Konsequenzen nicht tragen wollen."

Einmischung: Spione im Haus der EU-Demokratie?

Eine Reihe von Skandalen um angebliche Einmischungsversuche von Nicht-EU-Mächten wirft immer noch einen Schatten auf das Parlament. 2022 leitete die belgische Staatsanwaltschaft eine Untersuchung über ein mutmaßliches System von Einflussnahme auf Abgeordnete gegen Geldzahlungen ein. Bekannt wurde der Fall als "Katargate" - obwohl Katar jede Beteiligung bestritten hat.

Im April dieses Jahres tauchten dann kurz hintereinander Berichte über eine mutmaßlich russische Propagandaaktion auf, bevor Anfang der Woche ein Mitarbeiter eines deutschen EU-Abgeordneten wegen des Verdachts der Spionage für China verhaftet wurde.

Haldenwang: "Bedrohungssituation wie im Kalten Krieg"

"Ich frage mich, was als Nächstes kommt", sagte die deutsche sozialdemokratische EU-Abgeordnete Gabriele Bischoff der DW. "Es ist wirklich wichtig, dass wir unsere Demokratie widerstandsfähiger gegen ausländische Einmischung machen."

Im vergangenen Jahr hatte das Parlament bereits den Schutz von Whistleblowern verstärkt und die Transparenzregeln für Abgeordnete des Europäischen Parlaments verschärft.

EU-Politik: Ukraine unterstützen, Russland bestrafen

Das Europäische Parlament kann nicht eigeständig Gesetze beschließen. Stattdessen ist es darauf beschränkt, Vorschläge der Europäischen Kommission mit den EU-Mitgliedstaaten auszuhandeln. Dennoch lässt die Kammer oft ihre "Soft Power"-Muskeln spielen, indem sie rechtlich nicht bindende Resolutionen verabschiedet, um Druck auf andere EU-Institutionen auszuüben.

Der politisch im Zentrum angesiedelte EU-Abgeordnete Billy Kelleher aus Irland erzählt, dass die Parlamentarier diesen Einfluss im Zuge von Russlands Krieg in der Ukraine ausgeübt hätten. Sie hätten die nationalen Regierungen gedrängt, die Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern und die Unterstützung für die Ukraine zu stärken.

Zwei Frauen gehen an einem zerstörten Gebäude in Selydove, Ukraine, vorbei
Die EU-Abgeordneten debattieren regelmäßig über den Krieg in der Ukraine, doch ihre außenpolitischen Befugnisse sind minimalBild: Anatolii Stepanov/AFP

"Das Parlament war ganz vorne mit dabei, als es auf eine erweiterte Liste von Sanktionen gegen Russland drängte, um dessen Fähigkeit zu verringern, seinen Krieg in der Ukraine zu finanzieren", so Kelleher zur DW. Er gehört zu den vielen Abgeordneten, die seit Februar 2022 die Ukraine besucht haben.

Letztlich hat die Kammer wenig direkte außenpolitische Macht - die Entscheidungen treffen die EU-Regierungen. Die Abgeordneten fordern immer wieder mehr Einfluss. Ihr Argument: Schließlich seien sie direkt von den Bürgern ins EU-Parlament gewählt werden.

Doch das hat nicht für alle EU-Politiker Priorität. "Wir müssen die Entscheidungen der nationalen Regierungen respektieren, weil sie die wirklichen Vertreter des Volkes sind", meint etwa der Europaabgeordnete Nicola Procaccini, Vorsitzender der rechtsnationalen ECR-Fraktion. Wie Parteien des Spektrums Mitte-Rechts bis ganz Rechts dürfte auch Procaccinis Partei bei den EU-Wahlen diesen Juni voraussichtlich auf Kosten der Mitte und der Linken an Stimmen zulegen.

Aus dem Englischen adaptiert von Uta Steinwehr